ZÜRIOST – Deshalb pilgern am Sonntag die Franzosen nach Dübendorf

ZÜRIOST │23.05.2019

Deshalb pilgern am Sonntag die Franzosen nach Dübendorf

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Vom 23. bis 26. Mai wählen überall in der Europäischen Union die Bürger ihre Vertretung im EU-Parlament. Doch auch in Nicht-EU-Staaten wie der Schweiz gehen Wahlberechtigte an die Urne. Franzosen aus der ganzen Schweiz werden am Sonntag eine kleine Völkerwanderung nach Dübendorf unternehmen. Die französische Privatschule im Quartier Hochbord, das Lycée Français, mutiert nämlich zum Wahllokal für Franzosen in der Schweiz.

In Basel, Bern und Lugano stehen weitere kleine Wahllokale, doch das Lycée Français deckt mit einem Einzugsgebiet von 16 Kantonen die grösste Wählerschaft ab. Dass in einer Schule gewählt werde, entspreche der französischen Tradition, sagt Jean-Jacques Victor, der französische Generalkonsul in Zürich. In Frankreich würden Wahllokale oft in der nächstgelegenen Schule eingerichtet. Das Lycée fungierte denn auch schon bei der letzten Europawahl im Jahr 2014 und bei der Wahl des französischen Präsidenten vor zwei Jahren als Wahllokal.

Geringe Wahlbeteiligung erwartet

«Für uns ist es normal, als französische Schule Teil des demokratischen Prozesses zu sein», sagt auch Sandrine Maillet, Kommunikationsverantwortliche am Lycée Français. «Freiwillige Mitarbeiter und Eltern werden den Prozess betreuen und dem Konsul helfen, den Tag gut über die Bühne zu bringen.»

«Bedauerlicherweise lockt die Europawahl hierzulande nicht viele Franzosen an die Urne»
Jean-Jacques Victor, französischer Konsul in Zürich

Der Kanton Zürich ist laut Konsul Victor ein Hotspot für französische Expats. Von 21‘315 gemeldeten Franzosen in der Deutschschweiz leben 11‘760 im Kanton Zürich. Trotzdem rechnet Victor nicht mit einer grossen Beteiligung. «Bedauerlicherweise lockt die Europawahl hierzulande nicht viele Franzosen an die Urne», so Victor. Im Jahr 2014 habe man es gerademal auf eine Beteiligung von 15 Prozent gebracht.

34 Möglichkeiten, viele Kleinstlisten

Einer, der in Dübendorf wählen gehen wird, ist Stephane Julen aus Wangen. «Die Schweiz ist im Zentrum von Europa. Es geht uns natürlich etwas an, was rundherum geschieht. Ich finde es wichtig und möchte meine Chance wahrnehmen, die politische Vertretung Frankreichs in Europa mitzuprägen», sagt er. Und es sei ja auch kein weiter Weg von Wangen nach Dübendorf, fügt er hinzu.

«Es ist eher eine Wahl um Werte als eine von Personen»
Stephane Julen, Französisch-Schweizerischer Doppelbürger

Der 45-jährige Doppelbürger glaubt, dass die Wahl nur wenige Bürger mobilisiere, weil sie nicht so personenbezogen sei wie etwa die Präsidentschaftswahl. «Es ist eher eine Wahl um Werte als eine von Personen.»

Die Wahlberechtigten können sich zwischen 34 Listen entscheiden, die vor Ort aufliegen. «Der grösste Teil der Listen sind aber eher klein und haben ohnehin keine grosse Chance, wie etwa die Tierpartei, Frexit oder die Listen der Gilets Jaunes.» Welche Liste er unterstützen werde, will Julen nicht verraten, nur dass es keine der Extremen oder Kleinen Listen sei.

Ausweiskontrolle und Marseillaise an der Wand

Die Schweiz-Franzosen dürfen am Sonntag zwischen 8 und 18 Uhr wählen. Im Lycée Français wird der gesamte dritte Stock für diesen Zweck reserviert. Das Konsulat organisiert Urnen und Wahlunterlagen. Vor Ort kontrolliert ein Konsulatsangestellter, ob der Wähler wahlberechtigt ist. EU-Bürger, die in der Schweiz leben, müssen sich im Vorfeld von Wahlen registrieren lassen.

Gemäss Sandrine Maillet fungiert das Lycée Français am Sonntag als neutraler Wahlort und soll sich deshalb mit Eigenwerbung zurückhalten. Es ergebe sich aber trotzdem die Gelegenheit, sich in einem guten Licht zu präsentieren. Zum Beispiel mit einer Wand, auf der seit Kurzem die französische Nationalhymne, die Marseillaise, zu lesen ist. «Der französische Bildungsminister hat jüngst entschieden, dass dies in jeder französischen Schule Pflicht ist. Deshalb haben wir das jetzt auf die Wahl hin fertiggestellt.»

Die Schüler werden laut Maillet von der Europawahl nicht gestört. Die jüngeren Jahrgänge seien diese Woche ohnehin in einem Klassenlager. Doch auch die Älteren, die «Lycéens», sähen nichts von er Wahl. Denn Auf- und Abbau finde ausserhalb der Schulzeiten statt. «Das Thema wird aber sicher in den Familien besprochen und ist Teil des Geschichtsunterrichts der Schüler», so Maillet.

Europawahl in Frankreich

In Frankreich hat die Europawahl im Voraus für hitzige politische Debatten gesorgt. Auch wenn 34 Listen zur Wahl stehen, geht es im Gros um den Kampf zwischen dem amtierenden Präsidenten Emanuel Macron und dem rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen. Bei der letzten Europawahl im Jahr 2014 bekam Marine Le Pens Partei «Front national» am meisten Stimmen. Bei der Präsidentschaftswahl 2017 setzte sich jedoch Macrons Partei «En marche» durch.

Seit der letzten Europawahl hat sich Le Pen von den Plänen für einen EU-Austritt Frankreichs abgewendet, hält aber an dem Slogan «Les Français d’abord» fest. Macrons Regierung wurde zuletzt von der Gelbwesten-Krise durchgerüttelt. Er gilt als wichtiger Verfechter einer starken Europäischen Union. Am Sonntag wird sich also auch zeigen, ob Frankreich noch hinter seinem Präsidenten und der EU steht. Die Ergebnisse der Wahl werden voraussichtlich am Sonntagabend feststehen.

 

 

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